"Und da steht wer mit dem Kofferradio, hört ein Lied. Redet nur von langen Haaren und Beat ... " KLAUS RENFT COMBO, Zwischen Liebe und Zorn
Kann man den Beat verbieten?
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"Rebellische Musik" – Was bedeutet das eigentlich? Ich denke dabei an schnelle, laute, aggressive Musik, an Texte voller Kraftausdrücke - Texte, die Autoritäten (Eltern, Lehrkräfte, Polizei) kritisieren und beleidigen. Heute interessieren sich Autoritäten aber oft gar nicht so sehr für Musik und die Polizei kann im amerikanischem Gangsterrap oder deutschem Punkrock rauf und runter beleidigt werden. Das war in der DDR der 1960er Jahre anders. Insbesondere die Politiker interessierten sich damals so sehr für Musik, dass Jugendliche, die 'Beatmusik' hörten oder spielten, noch richtig (und oft ganz unfreiwillig) "rebellisch" waren. Wie ich das meine – und was 'Beatmusik' überhaupt ist – erfährst du in diesem Kapitel.
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Historische Aufnahme der PLANETEN aus dem Jahr 1964 - aufgenommen mit einem einfachen Tonbandgerät der Marke "Smaragd" im heimischen Wohnzimmer.
Die Beat-Musik war in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts eine große Sache. Sie entwickelte sich aus dem damals schon populärem Rock 'n' Roll heraus. Besonders zwei Bands aus England prägten diese neue Musikrichtung: die BEATLES und die ROLLING STONES. In der ganzen Welt und eben auch in der DDR hörten Menschen ihre Musik und eiferten ihren Idolen musikalisch und stylisch nach.
THE BUTLERS, SPUTNIKS, FRANKE-ECHO-QUINTETT, THEO-SCHUMANN-COMBO
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Internationaler Trend
Kleidung und Style
Frisuren
Aufgabe
Beat ist international
Stammt die Band auf dem Foto aus der DDR oder nicht? Ziehe die Fotos an die richtige Stelle.
Aufgabe
Kleidung und Style
Beatfans waren oft an ihrer Kleidung zu erkennen. Ziehe die typischen Styling-Merkmale eines Beatfans an die richtige Stelle! (Die Zeichnung stammt übrigens von einem original Beat-Flugblatt eines Leipziger Jugendlichen von 1966.)
Aufgabe
Lange Haare ...
Zwischen 1964 und 1966 mussten viele Beatfans in der DDR ihre Passfotos ändern. Sahen sie 1964 noch brav und angepasst aus, hatten sie sich 1966 die Haare wachsen wachsen – für die Älteren eine Provokation. Wir haben unten vier solcher Fotopaare gesammelt. Eines davon ist das alte Foto (von 1964) mit der normalen Frisur, eines das neue mit Beatfrisur (von 1966). Welches ist welches? Ordne zu.
An der Ecke stehen und Beatmusik im Radio hören – Alltag in der DDR Anfang der 1960er Jahre
Beatmusik und Beatbegeisterung waren also Anfang der 1960er Jahre Realität in der DDR. Für die politische Führung stellte sich nur die Frage, wie sie mit dieser Realität umgehen sollte. 1963/64 entschied sie sich zunächst für den Weg der duldenden und gleichzeitig kontrollierenden Toleranz. Die Jugendlichen sollten selbst entscheiden, zu welcher Musik sie tanzten – solange sie dabei nicht über die Stränge schlugen.
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Quelle
"Der Jugend Vertrauen und Verantwortung" – Kommuniqué des Politbüros der SED vom 21. September 1963
Hinweis: Der Text "Der Jugend Vertrauen und Verantwortung" war eine Bekanntmachung der SED-Führung, in dem sich diese mit Fragen zur DDR-Jugend und deren Musikgeschmack beschäftigte.
"In der letzten Zeit gab es viele Diskussionen über bestimmte Tanzformen, hervorgerufen einerseits durch westliche Unkultur und anderseits durch engstirnige Praktiken gegenüber Jugendlichen. Die Haltung der Partei zu diesen Fragen ist nach wie vor klar und deutlich: Wir betrachten den Tanz als legitimen Ausdruck von Lebensfreude und Lebenslust. […] Niemandem fällt ein, der Jugend vorzuschreiben, sie solle ihre Gefühle und Stimmungen beim Tanz nur im Walzer- oder Tangorhythmus ausdrücken. Welchen Takt sie wählt, ist ihr überlassen: Hauptsache sie bleibt taktvoll."
Der Zeitzeuge Wolfgang Ebert, damals 18 Jahre alt, taucht in diesem Kapitel in mehreren Videos auf. Er war Mitglied der PLANETEN (der Zweite von rechts auf dem Foto).
Anfang 1965 wurde die Musik der PLANETEN staatlich begutachtet. Ergebnis war dieser "Einstufungsbescheid", der den PLANETEN erlaubte, als "Gitarrengruppe" gegen Bezahlung (zu einem Stundenlohn von 4,60 DDR-Mark) aufzutreten.
... oder Bitten um eine "Solotour für Monika" von Tisch 2.
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Aufgabe
Staat und Musik
Lies dir den "Einstufungsbescheid" oben (drittes Bild in der Galerie) durch und analysiere den Text.
Wer schreibt? Über wen wird geschrieben?
Worum geht es im Text, was wird beschrieben?
Wie fällt das Urteil des Textes aus?
Welche Auswirkungen hat das Urteil für die Beschriebenen?
In Kasten 10 schreibt die SED-Führung: "Welchen Takt sie [die Jugend] wählt, ist ihr überlassen: Hauptsache sie bleibt taktvoll." Was könnte sie damit gemeint haben? Beziehe dich in deiner Antwort auch auf deine Analyse aus Aufgabe 1.
Angst und Propaganda
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§
Urheber: Bundesarchiv, Bild 183-J1231-1002-002 / Spremberg, Joachim / CC-BY-SA 3.0
Mag kein "Je-Je-Je" – SED-Parteivorsitzender Walter Ulbricht (Foto von 1970)
Die Duldung der Beatmusik durch die DDR-Führung dauerte allerdings nicht lange. 1965 änderte die SED ihre Meinung radikal. Die schon immer skeptisch Gewesenen setzten sich nun parteiintern durch. Plötzlich waren die meist englischen Texte der Beatsongs verdächtig, der schnelle Rhythmus und die verstärkten Gitarren zu aggressiv. Die Worte, die ihr Vorsitzender Walter Ulbricht auf dem 11. Plenum des Zentralkomitees der Partei im Dezember 1965 sprach, machen den Meinungsumschwung besonders deutlich (den Text zum Audio findest du hier):
Aber was war eigentlich passiert? 1965 zeigte sich die Beatmusik bei mehreren Gelegenheiten von ihrer "rebellischeren Seite'". Und das muss die politische Führung der DDR beunruhigt bis verängstigt haben:
Ich behaupte oben in Text 13, die DDR-Führung hätte vor der Beatmusik und ihren Anhänger:innen Angst gehabt. Sieh dir die Materialien oben an (Infofilm, Interviews und Zeitungsartikel) und finde darin Belege für oder gegen meine Behauptung. Stimmst du mir zu oder würdest du mir widersprechen? Begründe deine Antwort.
Sieh dir die Inhalte von Element 19 und 20 an. Beschreibe danach in eigenen Worten, mit welchen Mitteln der Staat verhinderte, dass die PLANETEN nach 1965 weiter auftraten.
Die staatlichen Maßnahmen gegen die PLANETEN zeigen uns deutlich, dass es sich bei der DDR um einen Unrechtsstaat handelte. Nimm zu dieser von mir formulierten Aussage kritisch Stellung und gehe dabei insbesondere auf den Begriff "Unrechtsstaat" ein.
3. Die Leipziger Beatdemo
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Als 1965 Beat-Bands verboten wurden, setzten sich die Leipziger Fans zur Wehr: Über Nacht tauchten Flugblätter auf, die zu Protestmarsch und Demo auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz am 31. Oktober aufrufen.
Zwei Jugendliche aus Markkleeberg hatten die ersten Flugblätter angefertigt (später gab beteiligten sich noch Andere). Sie nutzten dafür diesen Kinder-Stempelkasten.
In den Leipziger Schulen wurde vor einer Teilnahme an der Beatdemo gewarnt. Dadurch wurden einige Jugendliche erst auf die Protest-Aktion aufmerksam.
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Aus heutiger Sicht eigentlich keine große Sache: 500 bis 800 Jugendliche trafen sich am späten Morgen des 31. Oktober 1965 in der Leipziger Innenstadt. Sie standen herum und gaben ihrem Unmut über das staatliche Beatverbot durch Pfiffe und Buh-Rufe Ausdruck. Aber für den Staat war dieses Verhalten – und überhaupt das Erscheinen auf einer nicht genehmigten Versammlung – eine Riesenprovokation und so reagierte er auch darauf. Die Polizei sollte hart durchgreifen und war von vorneherein mit Schlagstöcken, Hunden und Wasserwerfern ausgestattet. Die Jugendlichen wurden auseinander getrieben und verprügelt, reihenweise wurden junge Leute aus der Menge gegriffen und mit LKWs abtransportiert.
Dieser Bericht der SED von der Demo hält fest, dass die Teilnehmenden sich "mehrheitlich passiv" verhielten. Als sie der Aufforderung, sich aufzulösen aber nicht folgten, wurden "VP[=Volkspolizei]-Kräfte zum Einsatz gebracht (Hundeführer, Sperrketten, Wasserwerfer u.a.)."
Zeitzeugenberichte
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Die beiden Zeitzeugen unten waren bei der eigentlichen Beatdemo in der Leipziger Innenstadt am Vormittag des 31. Oktobers 1965 nicht anwesend. Sie berichten dafür von den Ereignissen, die sich nach der Demo in Leipzig abspielten.
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Heinz Schleinitz - der Fan
Wolfgang Ebert - der Musiker
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Heinz Schleinitz - der Fan
Wolfgang Ebert - der Musiker
Strafen und Untersuchungen
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Bei der Leipziger Beatdemo wurden 267 Beatfans verhaftet. Aber was geschah mit ihnen? Welche Strafen gab es in der DDR für Jugendliche, die an verbotenen Versammlungen teilnahmen, die Obrigkeit herausforderten oder gar Flugblätter druckten?
PDPer Strafbefehl wurden 162 Jugendliche wegen ihrer Teilnahme an der Beatdemo für zwei bis vier Wochen Haft verurteilt. Hier die erste Seite eines solchen Strafbefehls.§
PDAuf der zweiten Seite könnt ihr in der Mitte links erkennen, dass sich der betroffene Jugendliche bereits in Untersuchungshaft befand. "UHA" steht für Untersuchungshaftanstalt.
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Zwangsarbeit im Tagebau als Erziehungsmaßnahme: Du hörst ein neu eingesprochenes Interview, in dem ein damals festgenommener Teilnehmer der Beatdemo von seiner Bestrafung berichtet. (Quelle: Auszug eines Gesprächs mit Jürgen Wede, geb. 1948, am 18.10.1990, zit. in: Rauhut, M.: Beat in der Grauzone. Berlin 1993. S. 152, 155, Sprecher: G. Wellbrock)
Auszug aus einem Gespräch mit Jürgen Wede, geb. 1948, am 18.10.1990, zit. in: Rauhut, M.: Beat in der Grauzone. Berlin 1993. S. 152, 155
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Vertiefung
Stasiakten online einsehen
Nach der niedergeschlagenen Beatdemo ermittelte das Ministerium für Staatssicherheit der DDR ("Stasi") akribisch. Teilnehmende an der Demo und die ermittelten Flugblattschreiber wurden verhört und Akten angelegt. Diese findest Du noch heute in der Stasiunterlagenbehörde und kannst sie in ihrer Mediathek online lesen.
Erklärvideo Recherche in der digitalen Sammlung Stasi-Mediathek§
Urheber: Erstellt von Sophie Rützel (Seminar SoSE 2023, Geschichtsdidaktik der Universität Leipzig)
Stell dir einmal vor, du wärst in einer ähnlichen Situation wie die jungen Beatfans in der DDR. Deine Lieblingsmusik würde staatlich verboten und diejenigen, die dagegen protestierten, würden hart bestraft.
Was würdest du tun? Würdest du den Kopf einziehen oder würdest du versuchen, etwas dagegen zu unternehmen, auch wenn das gefährlich wäre? Würdest du dir einfach eine neue Lieblingsmusik suchen oder versuchen, auf illegalem Weg an "verbotene Musik" zu kommen oder gar geheime Konzerte organisieren?
Mit diesem Flugblatt machten ein sechzehn- und ein siebzehnjähriges Mädchen Anfang November 1965 ihrem Unmut über das harte Vorgehen gegenüber Beatfans Luft.
Stell dir Folgendes vor: Die deutsche Regierung hat vor kurzem deine Lieblingsmusik verboten und eine allgemeine Zensur durchgesetzt. Die Musik ist weder zu kaufen, noch zu hören, sie ist aus dem Radio, von YouTube, Spotify und allen anderen Plattformen verschwunden. Bands, die deine Musik spielen, haben in Deutschland Auftrittsverbot. Die Regierung hat öffentlich erklärt, dass sie hart gegen alle vorgehen wird, die dieses Verbot umgehen oder dagegen protestieren.
Entwirf unten ein Graffito für deine persönliche Lieblingsmusik/-band, mit dem du dich gegen das Verbot zur Wehr setzt.
Aufgabe
Euer Podcast
Nehmt euren eigenen kleinen Podcast auf: Findet euch zu zweit, sprecht über die Fragen aus dem Text in Element 32 und nehmt euch dabei mit dem Aufnahmetool unten auf.
Das Szenario ist folgendes: Die deutsche Regierung hat vor Kurzem eure Lieblingsmusik verboten und eine allgemeine Zensur durchgesetzt. Die Musik ist weder zu kaufen, noch zu hören, sie ist aus dem Radio, von YouTube, Spotify und allen anderen Plattformen verschwunden. Bands, die eure Musik spielen, haben in Deutschland Auftrittsverbot. Die Regierung hat öffentlich erklärt, dass sie hart gegen alle vorgehen wird, die dieses Verbot umgehen oder dagegen protestieren.
Diskutiert, wie ihr euch in so einem Fall verhalten würdet. Bevor ihr aufnehmt, solltet ihr über folgende Punkte sprechen:
Was ist eure Lieblingsmusik bzw. Lieblingsband/-musiker:in?
Welche Rolle spielt Musik in eurem Alltag? Wieviel Zeit verbringt ihr mit dem Hören von Musik? Wie oft geht ihr zu Konzerten oder in Clubs?