Wenn Erwachsene etwas für Jugendliche tun wollen, wird es oft ziemlich peinlich. Das liegt wahrscheinlich vor allem daran, dass Erwachsene nicht gut darin sind, Jugendliche zu verstehen. Und auch daran, dass sich Jugendliche, mit dem, was sie tun und gut finden, oft von Erwachsenen abgrenzen wollen. Die DDR war nun aber ein Staat, dem die Jugendlichen sehr wichtig waren. Und er hatte den Anspruch, seinen Jugendlichen das zu bieten, was sie brauchten und sie dabei zu guten sozialistischen Erwachsenen zu erziehen. Das führte dazu, dass sich in der DDR eine Menge erwachsene Politiker:innen Gedanken über Einrichtungen, Gruppen und Veranstaltungen "für die jungen Leute" machten. Kann so etwas gut gehen?
Torgau am 1. Mai 1980, dem "Kampftag der Arbeiterklasse": Ziel der FDJ ist es, die Jugend kommunistisch zu erziehen.
Die Deutsche Demokratische Republik (DDR) zeigte sich nach außen gern als führend in verschiedenen Bereichen. Sie sah sich als "Friedensland", "Sportnation", "Leseland", "Wissenschaftsrepublik" oder "Kulturnation". Diese Selbstbezeichnungen sind heute sehr umstritten. Die Jugend spielte in der DDR eine entscheidende Rolle, denn sie war die Zukunft - sie sollte den Sozialismus aufbauen und stärken. Kein Wunder also, dass die DDR sich auch als "Staat der Jugend" sah. Insofern engagierte sich die DDR stark für Jugendliche, diese hatten aber bitte im vorgegebenen Rahmen zu bleiben und Erziehung, Bildung und Freizeit für junge Menschen waren weitgehend staatlich ausgerichtet.
1.Mai-Demonstration in Torgau 1980: FDJler:innen sehen sich als Unterstützer "der Partei". Damit ist die SED gemeint, die in der DDR das Sagen hatte.
Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) war die einzige staatlich anerkannte und geförderte Organisation für Jugendliche in der DDR. Sie war aber nicht nur eine Jugend-, sondern auch eine echte Massenorganisation. In den 1980er Jahren waren ca. 75% der DDR-Jugendlichen zwischen 14 und 25 Jahren Mitglied der FDJ. Niemand, keine Partei, keine Organisation, keine Verein, hat im heutigen Deutschland eine solche Reichweite. Also, was war das eigentlich für eine Organisation?
Lobt das Lernen, mehrt das Wissen, preist des Volkes Schöpferkraft! Unsre Zeit greift nach den Sternen! Ehr´ und Ruhm der Wissenschaft.
Refrain:
Vorwärts, Freie Deutsche Jugend! Der Partei unser Vertrauen! An der Seite der Genossen wolln wir heut das Morgen bauen!
2. Strophe:
Lernt im Geiste Thälmanns kämpfen für die junge Republik! Unsre Zeit braucht Herz und Hände, und der Frieden braucht den Sieg.
Refrain:
Vorwärts, ...
3. Strophe:
Seid bereit und kampfentschlossen, wenn Gefahren uns bedrohn! Unsre Zeit will Glück und Frieden, Freundschaft zur Sowjetunion!
Refrain:
Vorwärts, ...
3. Aktivitäten für die Jugend ...
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Die FDJ verfügte über eine große Zahl von Klubhäusern und Einrichtungen für Jugendliche, sie besaß eine eigene Reiseagentur "Jugendtourist" und organisierte neben zahllosen politischen Aktivitäten auch kulturelle Veranstaltungen wie das "Pfingstreffen der FDJ" oder das von 1982 bis 1987 abgehaltene Musikfestival "Rock für den Frieden“.
Abhängen im FDJ-Jugendklub – Das Foto (und die nächsten beiden) wurde von der staatlichen Nachrichtenagentur der DDR gemacht. Die Bildunterschrift lautete: "Hinter der Klubbar im Jugendklub in der Greifswalder Straße (Berlin) steht seit kurzem Silvia Wolf. Die 17jährige, sie lernt Sekretärin, will in Kürze im Klub aktiv mitarbeiten. Dem FDJ-Aktiv des Klubs gehören 25 Jugendliche an, die die zahlreichen Veranstaltungen organisieren. In der Regel schenkt Silvia Cola aus. Nur an den Disko-Abenden gibt es Alkohol in Maßen".
Schon mal etwas von "Jugend forscht" gehört? Das ist ein bundesweiter Wettbewerb, bei dem sich Jugendliche mit eigenen Forschungsprojekten bewerben und Preise gewinnen können. So etwas gab es auch in der DDR. Es hieß "Messe der Meister von Morgen" und wurde von der FDJ organisiert. Das Foto zeigt diese Messe in Leipzig, 1982.
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Urheber: Bundesarchiv, Bild 183-1985-0728-021 / Uhlemann, Thomas / CC-BY-SA 3.0
Spaß im FDJ-Zeltlager – dieses Foto wurde 1985 gemacht, die Bildunterschrift lautete: "Auf den Namen ´Zahnloser Algenfresser´ wird Janette Klier (r.) beim Sport- und Neptunfest im Schwimmstadion in der Siegfriedstraße getauft. Die Studentin beteiligt sich mit 1 100 Kommilitonen aus Leipzig und Halle am Studentensommer in Berlin und wohnt im FDJ-Zeltlager "IX. Parteitag der SED" in der Herzbergstraße (Berlin-Lichtenberg)."
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In den 1980er Jahren war "Rock für den Frieden" das große Rockfestival der DDR. Veranstalter waren der Zentralrat der FDJ, das Komitee für Unterhaltungskunst der DDR und der Palast der Republik. Offiziell sollte es für Friedenspolitik der DDR begeistern. Jenseits dieser propagandistischen Wirkung war es bei Rockfans ein beliebtes Festival, weil viele bekannte Bands auftraten.
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§Ein Ausschnitt des DDR-Fernsehens zum Festival "Rock für den Frieden" 1983. Gespielt wird "Ein Lied für die Menschen" der DDR-Rockgruppe "SILLY". Die Bilder stammen vom Festival und verschiedenen DDR-Friedensdemos.
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Info
Mitmachen oder nicht?
Über den folgenden Link findest du einen Ausschnitt aus einer mdr-Dokumentation, in dem damalige DDR-Musiker über das Festival "Rock für den Frieden" und ihr Verhältnis zu der Veranstaltung sprechen.
4. ... mit staatlichem Auftrag
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In der DDR sollten die Bürger:innen ein Leben lang – und nicht nur in der Schule – zu "sozialistischen Persönlichkeiten" erzogen werden. Die FDJ wirkte parallel zu Unterricht, Ausbildung oder Studium auf die Jugendlichen ein und war damit Teil des einheitlich organisierten Bildungs- und Erziehungssystems der DDR. Auch sollte sie den Nachwuchs für die Staatspartei SED sichern. Bei der Gründung der FDJ 1946 hieß es noch, sie solle "überparteilich, einig und demokratisch" sein. Aber vertrug sich dieser Anspruch aus den Anfängen mit der späteren Entwicklung der FDJ?
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Quelle
Auszug aus dem Statut der FDJ
I. Ziele und Aufgaben der Freien Deutschen Jugend
Die Freie Deutsche Jugend ist die einheitliche sozialistische Massenorganisation der Jugend der Deutschen Demokratischen Republik. Sie vereint auf freiwilliger Grundlage in ihren Reihen junge Menschen, die gemeinsam mit allen Werktätigen die entwickelte sozialistische Gesellschaft weiter gestalten und so grundsätzliche Voraussetzungen für den allmählichen Übergang zum Kommunismus schaffen. Sie verkörpert die politische Einheit der jungen Generation der DDR. [...]
Die Freie Deutsche Jugend arbeitet unter Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und betrachtet sich als deren aktiver Helfer und Kampfreserve. Grundlage für die gesamte Tätigkeit sind das Programm und die Beschlüsse der SED. Die Politik der marxistisch-leninistischen Partei der Arbeiterklasse entspricht den grundlegenden Lebensinteressen der Jugend der DDR, gibt ihr Ziel und Inhalt für ein sinnerfülltes glückliches Leben und weist ihr den Weg in die kommunistische Zukunft. Die Freie Deutsche Jugend tritt immer und überall für die Politik der SED ein und hilft mit ganzer Kraft, ihre Beschlüsse zu verwirklichen. [...]
5. Freiwillige Mitgliedschaft?
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Die Jugendlichen wurden auf Antrag ab einem Alter von 14 Jahren aufgenommen. Mitglied in der FDJ zu werden war per Statut eine freiwillige Entscheidung. Für diejenigen, die sich jedoch gegen eine Mitgliedschaft entschieden, war eine solche Verweigerung mitunter mit Diskriminierungen und Nachteilen für die schulische oder berufliche Laufbahn verbunden. Für die meisten Jugendlichen in der DDR schien eine Mitgliedschaft in der FDJ wohl einfach "normal", wohingegen eine Nichtmitgliedschaft nur bei starken persönlichen Überzeugungen überhaupt in Betracht gezogen wurde. In den 1960er Jahren war jeder zweite Jugendliche, in den 1980er Jahren waren schon drei von vier Jugendlichen in der FDJ organisiert. Die Mitgliedschaft endete zumeist mit 25 Jahren.
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Der Zeitzeuge Henning Schluss über sein Verhältnis zu Pionieren und FDJ.
Das sogenannte „Blauhemd“ (auch: FDJ-Hemd oder FDJ-Bluse) war seit 1948 die offizielle Organisationskleidung - und zugleich Erkennungsmerkmal - der Jugendorganisation: Ein Hemd aus blauem Stoff, mit aufgenähten Brusttaschen, Schulterstücken und mit einer golden aufgehenden Sonne am linken Ärmel, dem Emblem der FDJ.
Jedes Mitglied der FDJ hatte es zu besonderen Anlässen zu tragen. Das Foto zeigt die Eröffnung des XII. Parlaments der FDJ 1985 im "Palast der Republik" in Ost-Berlin.
Für manche war es eine Ehre, dieses Hemd zu tragen, für andere eher eine lästige Pflicht. Foto: FDJ-Mitglieder aus Torgau und Leipzig nehmen 1984 am Nationalen Jugendfestival der DDR in Berlin teil.
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Von oben nach unten - der Aufbau der FDJ
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Info
Die Pionierorganisation der DDR
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Archiv Bürgerbewegung Leipzig
PD
Emblem der Pionierorganisation "Ernst Thälmann"
Die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ war eine politische Massenorganisation für Kinder in der DDR. Sie wurde 1948 unter Leitung der Freien Deutschen Jugend (FDJ) gegründet. Im Jahr 1952 erhielt sie den Namen „Ernst Thälmann“, benannt nach dem von den Nationalsozialisten 1944 ermordeten früheren KPD-Chef. Als Vorstufe zur Mitgliedschaft in der FDJ war die Pionierorganisation fest im sozialistischen Bildungs- und Erziehungssystem verankert. Am Ende der DDR waren circa 98% aller Schüler:innen Mitglieder bei den Pionieren. Wie bei der FDJ war die Mitgliedschaft formal freiwillig. Jedoch wurde sie von Seiten des Staates und nicht zuletzt auch von vielen Eltern als selbstverständlich betrachtet.
Die Pionierorganisation sollte von Anfang an Einfluss auf die Kinder in der DDR nehmen, um sie im Sinne der sozialistischen Ideologie zu beeinflussen. Dies geschah zum Beispiel bei Fahnenappellen in der Schule und im Rahmen von Pioniernachmittagen, auf denen z.B. Lieder gesungen und die Grundlagen des Sozialismus in spielerischer Form vermittelt wurden. Diese Pioniernachmittage wurden von einem Gruppenrat organisiert, der in jedem Schuljahr neu gewählt wurde und sich aus den beliebtesten und leistungsstärksten Schüler:innen einer Klasse zusammensetzte. Seine Mitglieder sollten als Vorbilder und Vertrauenspersonen für die Mitschüler:innen fungieren.
Der Pionierorganisation war es möglich, eine Vielzahl von Veranstaltungen sowie regelmäßige Freizeitangebote wie Kurse oder AGs für ihre Mitglieder anzubieten. Insgesamt existierten in der DDR etwa 50 Pionierlager sowie knapp 150 Pionierhäuser, in denen die Ferien bzw. die Freizeit verbracht werden konnten.
Auch Sportveranstaltungen für Kinder,
die "Pionierspartakiaden", bei denen Wettkämpfe in allen gängigen Sportarten
abgehalten wurden, waren ein wesentlicher Teil der Jugendarbeit der
Pionierorganisation. Auf Kritik bei manchen Eltern stießen einige von den
Pionieren durchgeführte vormilitärische Übungen, wie z. B. das
von der Nationalen Volksarmee (NVA) organisierte "Manöver Schneeflocke“. Dabei handelte es sich um ein militärisches Geländespiel, bei dem die Kinder einen ersten spielerisch-positiven Kontakt zur Armee der DDR bekamen.
Bei allen Veranstaltungen der Pioniere wurde das Kollektiv, also die Gruppe, sehr stark betont. Individualismus des Einzelnen war hier ebenso wenig erwünscht wie in
anderen Teilen der DDR-Gesellschaft. Die Pionieruniform steht symbolisch für dieses Ideal
des Gleichseins. Sie
bestand aus einem weißen Hemd mit blauer Hose für Jungen. Mädchen
trugen eine weiße Bluse mit blauem Rock. Dazu wurde stets ein dreieckiges blaues bzw.
ab 1973 bei den Thälmann-Pionieren auch rotes Halstuch getragen. Dieses
wurde mit einem speziellen Pionierknoten gebunden. Darüber hinaus gab
es einen eigenen Pioniergruß. Wenn Pädagog:innen, an die Klasse gerichtet, riefen „Für Frieden und Sozialismus – seid
bereit!“, dann antworteten die Kinder wie aus einem Mund mit „Immer bereit!“. Parallel dazu legten die Schüler:innen die rechte innere Handkante entlang des Scheitels.
Kinder von der 1. bis zur 3. Klasse waren bei den Jungpionieren organisiert. Nach dem Ablegen des "Pionierversprechens" wurden sie feierlich zu Jungpionieren erklärt. Anschließend bekamen sie als Zeichen ihrer Mitgliedschaft das blaue Halstuch. Dieses wurde ihnen von älteren Mitgliedern umgebunden. Es wurde fortan zu besonderen Anlässen zusammen mit Pionierhemd bzw. -bluse getragen. Außerdem bekamen die Kinder einen Pionierausweis, der die sogenannten Pioniergebote enthielt. Darüber hinaus gab es für die Jungpioniere auch eine eigene Zeitschrift, die "ABC-Zeitung", die einmal monatlich erschien.
Schüler:innen der 4. bis 7. Klassen konnten Thälmann-Pioniere werden. Der Wechsel von den Jungpionieren zu den Thälmann-Pionieren erfolgte zu Beginn des vierten Schuljahres mit dem Ablegen des sogenannten Pioniergelöbnisses. Außerdem bekamen die Kinder ein Mitgliedsbuch ausgehändigt sowie ein vom Zentralrat der FDJ herausgegebenes Statut, das die sogenannten Pioniergesetze enthielt. Die typische Pionieruniform, die schon von den Jungpionieren zu feierlichen Anlässen getragen wurde, blieb erhalten. Ab 1973 trugen die Thälmann-Pioniere statt des blauen ein rotes Halstuch. Auch die Thälmann-Pioniere hatten eine eigene, wöchentlich erscheinende Zeitung, die "Trommel".
6. "Wir wollten doch nur unseren Spaß haben!“ – Jugendkulturen in der DDR
"Da hat die staatliche 'DDR-Jugendmode' keine Chance ..." – viele Jugendliche in der DDR orientierten sich an den modischen Trends der Jugendkulturen im Westen.
Vom Kap Arkona bis zum Fichtelberg: "The Kids Just Wanna Have Fun"!
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Wie Du gesehen hast, war die FDJ für Jugendliche allgegenwärtig. Die meisten Jugendlichen arrangierten sich mit den staatlichen Erwartungen an sie. Die einen aus Überzeugung, die anderen, um keine Probleme zu bekommen. Manchen mag die Begrenztheit der DDR nicht besonders aufgefallen sein, einige wurden mit zunehmendem Alter immer gleichgültiger.
Doch in jeder Phase der DDR gab es sie, die freiheitsliebenden jungen Leute, die in ihrer Freizeit einfach „ihr Ding machen“ wollten. Die sich ihre Freiräume nahmen. Die provozierten. Die unangepasst, eigensinnig, anders waren … Um diese Jugendlichen und ihre Wege wird es in den folgenden Kapiteln gehen.